22. Mai 2018

Zwei Primarfremdsprachen wirken sich auf Deutschkenntnisse aus

«Je früher ein Kind mit dem Erlernen einer Fremdsprache beginnt, desto besser!» Dieser Volksglaube steckt auch heute noch in den Köpfen vieler Menschen. Was damit wirklich gemeint ist, ist die Auseinandersetzung mit einer Fremdsprache über einen langen Zeitraum, gepaart mit der immer wieder stattfindenden Konfrontation derjenigen.
"Je früher, desto besser" stimmt nicht immer, Basler Zeitung, 22.5. von Saskia Olsson


Es mag stimmen, dass ein sechsjähriges Kind, das mit der Familie nach Frankreich zieht und dort in eine französische Schule mit Französisch sprechenden Kindern eingeschult wird und mit gleichaltrigen Französisch sprechenden Nachbarn spielt, keine Probleme hat, diese Sprache innert kürzester Zeit zu erlernen. Problematisch wird es allerdings dann, wenn auf Teufel komm raus dieses Prinzip an unseren Primarschulen angewendet wird und man den gleichen Erfolg erwartet. Unsere Schulkinder setzen sich nur während zwei bis drei Wochenlektionen mit der Sprache auseinander. Es müsste jedem klar sein, dass das Prinzip des «Sprachbades» bei dieser kleinen Anzahl von Wochenstunden nicht möglich ist.
Doch nicht nur das: Viele wissenschaftliche Studien sowohl aus der Schweiz als auch aus Kanada belegen, dass das frühe Erlernen einer Fremdsprache weder kurz- noch langfristig vorteilhaft ist. Wenn Schulkinder Englisch erst auf der Sekundarstufe lernen, holen sie den Vorsprung derjenigen, die bereits seit der fünften Klasse Englisch lernen, innerhalb von sechs Monaten auf. Das hat eine Studie der Sprachwissenschaftlerin Simone Pfenninger von der Universität Zürich ergeben. Sie hat die Englischkenntnisse von 400 Sekundarschulabgängerinnen und Sekundarschulabgängern aus Zürich miteinander verglichen.

Obwohl ein Teil der Befragten bereits in der Primarschule Englisch lernte und der andere Teil erst ab der Sekundarstufe, waren die «Spätlernenden» am Ende der obligatorischen Schulzeit mindestens auf demselben Wissensstand – in einigen Bereichen waren sie den «Frühlernenden» sogar voraus. Auf der Sekundarstufe lernen die Schülerinnen und Schüler die Fremdsprache wesentlich strukturierter und systematischer. Durch das effizientere Lernen benötigen sie auch weniger Zeit.

Eine negative Begleiterscheinung seit der Einführung von zwei Fremdsprachen an der Primarschule ist, dass die Leistungen im Fach Deutsch auf der Primarstufe markant gesunken sind. Der Zusammenhang zwischen der Überforderung der Schulkinder durch zwei Fremdsprachen und dem gleichzeitigen Sinken des Wissens im Fach Deutsch ist naheliegend. Deshalb wäre es zielführender, zunächst die deutsche Sprache und Grammatik zu festigen. Das Frühfremdsprachenprojekt mit den beiden Fremdsprachen Französisch und Englisch ist gescheitert. Nicht nur bindet es enorme Ressourcen und verursacht Kosten in Millionenhöhe; es bringt für die Schulkinder auch keinen Mehrwert, sondern setzt sie einem unnötigen Druck und Stress aus. Der ausbleibende Lernerfolg demotiviert die Kinder und das Klassen- und Lernklima verschlechtert sich durch die zunehmende Frustration.

Warum sollen wir unsere Kinder dieser grossen Überforderung aussetzen, obwohl wissenschaftliche Studien belegen, dass ein früher Fremdsprachenbeginn keine Vorteile hat und die jetzigen Englischstunden auf der Primarstufe viel sinnvoller und zielführender eingesetzt werden könnten? Stimmen Sie deshalb am 10. Juni Ja zur Initiative «Eine Fremdsprache auf der Primarstufe genügt».

Saskia Olsson ist Geschäftsleiterin Starke Schule beider Basel.


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