19. Februar 2018

Passepartout ist vergebliche Liebesmüh

Die Kontroverse hat sich im Moment etwas gelegt. Die Frage nämlich, mit welcher Zweitsprache unsere Kinder beginnen sollen: mit Englisch oder mit Französisch. Ich sage, halb im Ernst, halb im Scherz: French first, l’Anglais ensuite. So ist es in den beiden Basel, und das ist gut so. Französisch ist für uns eine Landessprache, Mesdames et Messieurs. Eine andere Kontroverse tobt dafür mit unverminderter Heftigkeit. Es stellt sich hier die Frage nach adäquaten Lehrmitteln für diesen Frühbereich. Diesbezüglich sieht es für Französisch düster aus. Aufgrund eigener Anschauung, Leserbriefen, Kommentaren und Landratsvoten stelle ich fest: Das Konzept Passepartout ist das schlechteste Lehrmittel für Französisch. Das ist nun nicht «tant de bruit pour une omelette», sondern ein deplorabler Zustand, den es zu beseitigen gilt. Et voilà.
Das Konzept Passepartout ist schlecht, Basler Zeitung, 19.2. von Thomas Schweizer


Nun gehen die Ansichten, wie man Fremdsprachen lernt und was ein gutes Lehrmittel ist, auseinander, und sie können sich im Lauf der Zeit auch ändern. Aber die didaktischen Grundlagen und die Einsicht ins Lernen bleiben sich doch mehr oder weniger gleich. Ohne Systematik geht es nun mal nicht, und auch hier gilt: ohne Fleiss kein Preis. Oder: üben, üben, üben. Keiner gibts den Lernenden im Schlaf und ein «Sprachbad» lässt sie lediglich ertrinken. Auch hier muss la mesure gelten: das richtige Mass, die Ausgewogenheit, das gemässigte, aber stete Arbeiten an und in der Sprache, das Kennenlernen der inneren Strukturen eines fremden Idioms. Sie lässt sich auch nicht wie eine Muttersprache lernen.

Unsere Lehrerinnen und Lehrer geben sich mit Passepartout die grösste Mühe, doch es ist vergebliche Liebesmüh. Die Kinder scheinen sich nicht zu interessieren, haben keine Freude am Sprechen, kommen bei diesem Wirrwarr nicht draus und verstehen den komplizierten Wortschatz nicht, der ihnen zugemutet wird. Ja, mir scheint, selbst der «Hösli», mit dem ich einst an der Realschule Waldenburg Französisch gelernt hatte, sei besser gewesen. Natürlich trug auch unser strenges, aber um originelle Ideen nie verlegenes «Fräulein Tschopp» viel dazu bei (Lehrkräfte hatten damals noch mehr Freiheiten als heute). Ihre «choux à la crème», zum Beispiel, die sie mit uns nach Rezept im Lehrbuch und nur Französisch sprechend, gebacken hatte, bleiben mir für immer unvergessen. Dank ihr und dem «Hösli» vermochte ich auch gleich zu Beginn meiner Neuenburger Jahre ganz passable Sätze zu sprechen ( «Jai … oublié … mon … manteau», auch unvergesslich). Bei Fräulein Tschopp lernten wir auch, dass man «lä täble», «lä cärte» und nicht das schwerfällige Schweizerdeutsch-Französisch «laa taable», «laa caarte» ausspricht.

Vor noch nicht allzu langer Zeit gab es das ausgezeichnete Lehrmittel «Bonne Chance». Ich bin geneigt zu kalauern: «Bonne Chance» war mille fois besser als das heutige «Mille Feuilles». Sans blague. «Bonne Chance» enthielt alle Grundlagen für einen erfolgreichen Unterricht einer unserer Landessprachen. Der Aufbau war so angelegt, dass er sanft, ja spielerisch begann, aber immer mit Vokabeln aus dem Grundwortschatz versehen, der Grammatik, der Syntax und der Aussprache Rechnung tragend. Die Sprechsituationen und Szenen waren kindgerecht, denn unter dem «Personal» gab es viele Kinder und Jugendliche. Genial war dann das Spiel mit den zwei Stabpuppen Pierrette und Pierrot. Mit ihnen konnten die Kinder ungezwungen, das heisst ohne Scheu sprechen, was ihre Sprachfertigkeit enorm förderte.

Das Besondere war auch, dass die Lerninhalte über zwei Familien vermittelt wurden, die sich verwandtschaftlich nahestanden und Kontakt hatten. Die eine wohnte im ländlichen Bercher im Gros de Vaud, die andere im mondänen Genf. Das gab ausgezeichnete Einblicke ins Leben und Wesen unserer compatriotes romands. Viel Wissenswertes über die romanische Kultur der Westschweiz wurde den Kindern quasi en passant vermittelt. Der dritte Band war dann richtig anspruchsvoll, aber immer dem Aufbau folgend und damit logisch die nötigen «Skills» schaffend.

Mir ist schleierhaft, warum man dieses Lehrmittel, das sich bewährt und alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches Lernen erfüllt hatte, wieder verbannt hat. Austauschwochen zwischen Deutsch- und Westschweizer Klassen sind ja auch nicht neu. Wichtig sind sie aber heute, weil das legendäre Welschlandjahr verschwunden ist. Diese Lücke kann die Schule nicht füllen. Man bleibe also bescheidener, hege keine übertriebenen Ambitionen, stelle sich vielmehr in den Dienst unserer Kinder und unserer zwar schwierigen, aber wunderbaren Landessprache Französisch. Quelle élégance. Ein konstruktiver Vorschlag zum Schluss: Man führe wieder «Bonne Chance» ein, und das Glück kehrt in die Klassenzimmer zurück.


Thomas Schweizer, Füllinsdorf, ist Kolumnist und Autor. Er war früher Lehrer am Gymnasium Bäumlihof. Sein neuestes Buch heisst «Boulevard Basel».

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