19. Februar 2018

"Lehrplan setzt den Verfassungsauftrag um"

Es war ein stürmisches Jahrzehnt für die Volksschule: Schulleitungen wurden eingesetzt, Horte und Mittagstische eröffnet, Kleinklassen geschlossen, der Kindergarten in die Schule integriert, und letztes Jahr kam es zum zweiten Mal zu einem erbitterten Kampf um den Fremdsprachenunterricht. Nun werden die Zürcher Stimmberechtigten am 4. März erneut an die Urnen gerufen.
Diese Initiative ist schädlich und unnötig, Tages Anzeiger, 19.2. von Daniel Schneebeli
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Eine überparteilich zusammengesetzte Gruppe von Lehrpersonen und konservativen Schulinteressierten verlangt mit einer Volksinitiative, dass Lehrpläne im Kanton Zürich in Zukunft vom Kantonsrat und vom Volk festgelegt werden. Heute erledigt diese Aufgabe, wie in den anderen Kantonen, ein Gremium von Fachleuten. In Zürich ist dies der Bildungsrat.

Die Initianten bezeichnen die heutige Erarbeitung der Lehrpläne als undemokratisch. Für sie sind die neun Bildungsräte «Bürokraten» und «praxisferne Theoretiker» – oder zumindest sind sie von solchen gesteuert. Darum wollen die Initianten die Kompetenz zum Erlass von Lehrplänen dem Parlament und dem Volk übertragen. Für sie würde dies die Legitimation des Lehrplans erhöhen.

Gegen den Ausbau von demokratischen Rechten ist eigentlich nichts einzuwenden, in diesem Fall ist er hingegen unnötig und schädlich. Unnötig, weil sich die heutige Regelung seit Jahrzehnten in der ganzen Schweiz bewährt, und schädlich, weil die Volksschule nicht zum Sprachrohr der politischen Mehrheit werden darf. Die Volksschule sollte den Kindern die Welt erklären, und zwar so ungefärbt wie möglich. Vor allem aber sollte sie den Schülerinnen und Schülern beibringen, wie sie später ihr Leben selbstständig meistern können.

Mehrheit schlägt Minderheit
Dass es am 4. März überhaupt zur Volksabstimmung kommt, liegt am neuen Lehrplan 21, der im Sommer eingeführt wird. Die Initianten wehren sich gegen diesen Lehrplan, weil daran fremde Kantone mitgearbeitet haben. Das sei verfassungswidrig, die Hoheit über die Volksschule liege gemäss Bundesverfassung allein beim Kanton Zürich. Das stimmt zwar, doch die Initianten blenden aus, dass die Kantone im gleichen Artikel 62 der Bundesverfassung zur Harmonisierung der Lehrpläne verpflichtet werden. Mit dem Lehrplan 21 hat der Zürcher Bildungsrat nichts anderes getan, als den vom Volk gewünschten Verfassungsauftrag umgesetzt.

Zudem ist die Behauptung falsch, dass der Lehrplan 21 undemokratisch verfügt wurde. Der Bildungsrat ist nicht nur demokratisch vom Kantonsrat gewählt, er hat auch sämtliche Betroffenen und speziell die Lehrerschaft in die Erarbeitung des Lehrplans einbezogen. Dabei konnten diese mehrfach Einwände anbringen, die teilweise auch berücksichtigt wurden. Die Einwände der Initianten sind nicht in den Lehrplan eingeflossen, weil sie unter Lehrern, Behörden, Eltern und Wissenschaftlern nicht mehrheitsfähig waren.

Undemokratisch ist das Verfahren deswegen nicht, im Gegenteil. Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass sich am Ende die Minderheit der Mehrheit beugen muss.

Mit dieser Volksinitiative können die Stimmberechtigten indirekt auch ihre Meinung zum Lehrplan 21 abgeben. Darum drängt sich die Frage doch auf: Ist dieser Lehrplan die richtige Basis für unsere Volksschule? Dazu sollte man wissen: Alle Lehrerverbände im Kanton Zürich loben das neue Regelwerk und beurteilen es als praxistauglich. Und hinter diesen Stellungnahmen steckt die Mehrheit der Verbandsmitglieder, also der Lehrerinnen und Lehrer. Die Kritik der Initianten ist hingegen pauschal und unpräzis. Sie hätten gerne eine andere Formulierung der Lernziele, sprechen von Überregulierung. Hinter ihrem Widerstand steht eine grundsätzliche Ablehnung der laufenden Schulentwicklung. Sie wehren sich gegen moderne Unterrichtsformen, gegen Bildungsprogramme, Sprachlastigkeit und Individualisierung. Kurz: Sie wünschen sich eine Schule, wie sie einmal war. Dies zeigen auch die Namen im Initiativkomitee. Viele von ihnen haben vor 15 Jahren schon gegen das neue Volksschulgesetz gekämpft und kürzlich gegen die zweite Fremdsprache an der Primarschule – erfolglos. Mit ihrem Einsatz gegen den Lehrplan 21 setzen sie dieses Engagement fort.

Grosse Verunsicherung
Die laufende Entwicklung und Modernisierung der Volksschule geniesst mittlerweile nicht nur im Volk grosse Akzeptanz, sondern auch in der Lehrerschaft. Darum könnte ein Ja zu dieser Initiative zu grosser Verunsicherung führen und die Schule gar aus der Bahn werfen. Man sollte auf der Autobahn bei Tempo 120 km/h nicht den Rückwärtsgang einlegen.
In den Kantonen Aargau, Thurgau, Schaffhausen, Solothurn und Baselland haben die Stimmberechtigten auf dieses Manöver verzichtet und ähnliche Initiativen abgelehnt. Zürcherinnen und Zürcher sollten das Gleiche tun, damit die Volksschule langsam wieder zur Ruhe kommt.

Alle Lehrerverbände im Kanton loben das neue Regelwerk und beurteilen es als praxistauglich.


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