25. September 2017

Wer sich anstrengt

Letzten Mittwoch traten zwei Klassen unserer Schule gegeneinander in einem Poetry-Slam-an. Der Workshop, der von der Bielerin Tina Messer initiiert, von mehreren Jungpoeten durchgeführt und von der Erziehungsdirektion finanziell unterstützt wird, war, wie meine Schüler es ausdrücken würden „megacool.“
Wer sich anstrengt, von Alain Pichard, 25.9.


Eine junge libanesische Schülerin meiner Klasse beeindruckte uns Lehrkräfte und viele Eltern mit einem glühenden Votum für einen besseren Umgang unter den Schülerinnen und Schülern der Oberstufenklassen.

Eine Passage blieb mir in Erinnerung: „So frage ich, ob es noch Zusatzaufgaben gebe und erhalte als Antwort, ’halt doch die Fresse du Streberin!’ So ist es also hier, wer sich anstrengt und weiterkommen will, ist eine Streberin! Von diesem Land habe ich etwas Anderes erwartet!“

Nicht alle ihre Mitschülerinnen waren begeistert von diesem Bekenntnis. Darunter übrigens durchaus nicht lustlose Migrantenkinder, sondern auch solide Schweizer Burschen.
Seit geraumer Zeit muss sich meine Alia* nicht nur gegen minimalistische Mitschüler behaupten, sondern gegen ein Bündnis von Erziehungswissenschaftlern, PH-Dozentinnen  und Bildungsfunktionären, welche ihre holistischen Vorstellungen auch auf die Studierenden übertragen wollen. So wird zum Beispiel die Forderung immer lauter, die Hausaufgaben abzuschaffen. Sie seien der Grund für Streitereien in der Familie, verursachten Stress und würden die Ungleichheit zwischen privilegierten und unterprivilegierten Schichten fördern. Streng nach dem Motto: Wo was gross ist, bleibt es rundherum klein. Und so etwas gelte es unter allen Umständen zu verhindern.
Keine Frage: Es gibt dumme Hausaufgaben, genauso wie es bequeme Lehrkräfte und einfältigen Unterricht gibt. Ich lege selber auch nicht die Hand ins Feuer, dass ich immer die klügsten Arbeitsaufträge erteile. Hausaufträge können hingegen auch inspirierend und interessant sein, vor allem aber sind sie unvermeidlich, wenn es ums Lernen geht.
Tagesstrukturen, Teamunterricht, Individualisierung der Ansprüche gehören längstens zum Repertoire unserer Schule. Alia lernt trotzdem gerne noch etwas mehr, auch zu Hause. Intuitiv misstraut sie den Leuten, welche ihr eine Umwertung aller Werte predigen wollen: Keine Leistung, dafür viele aufpäppelnde Sonderbetreuungen. An so etwas will sich die Torhüterin ihres Fussballclubs gar nicht erst gewöhnen.

Sie lässt sich weder von Mitschülern, noch von Experten in den Bildungsbüros bremsen. Vermutlich ahnt die intelligente Libanesin, dass die Verachtung der Leistung vor allem den Kindern unterer Schichten schadet, denn gerade sie müssen Leistung zeigen um hochzukommen. Am 15. Dezember kann man übrigens die besten Texte verschiedener Schulhäuser in einer Endausmarchung im Chessu miterleben. Alias Text wird dabei nicht zu hören sein. Sie hat es nicht unter die besten zwei gebracht. Sie war aber nahe dran, und verstand die Welt nicht mehr. „Der Text und die Performance waren doch gut?“ Ich fand das auch, aber eben… ich durfte nicht mitstimmen.

*Name geändert

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen