Die
Schülerzahlen werden in den nächsten Jahren neue Höchstwerte erreichen. Lehrer
sind gefragt wie selten zuvor. Doch jetzt soll ihre Ausbildung noch länger
dauern. Hilft das den Kindern im Unterricht wirklich?
Wenn der Lehrer noch nicht schulreif ist, Südostschweiz am Wochenende, 12.8. von Yannick Nock
Es sind
ehrliche Worte aus dem Herzen der Ausbildungsstätte. «Schon das heutige Studium
erlebe ich al s wenig anspruchsvoll und praxisfern» , schreibt die angehende
Primarlehrerin Mireille Kohler in einem Leserbrief zum Lehrermangel. Kohler
wird ihr Studium an der Pädagogische n Hochschule (PH FHNW) in Brugg (AG) zwar
in einem Jahr beenden , hätte sich dabei aber vor allem eines gewünscht: mehr
Praxiserfahrung. Nur so könnten die angehenden Lehrer den Schulalltag meistern.
Es gibt
Herausforderungen, denen man nicht im Hörsaal, sondern nur im Klassenzimmer
begegnet: lange Schultage, unruhige Kinder, aufbrausende Eltern. «Mein Vorschlag
ist ein Studium mit zeitgleicher Festanstel lung als Lehrer», schreibt Kohler,
«mit einem Coach in der Praxis.»
Mit
ihrer Aussage hat Kohler einen Nerv getroffen. Das Thema wir d derzeit von
Erziehungsräten, Lehrern und PH-Studenten heftig diskutiert. Klar ist: Die
Lehrerausbildung wird sich ändern. Aber wie? Die Rektoren der pädagogischen
Hochschulen fordern in einem neuen Strategiepapier, dass alle PH-Studenten
einen Masterabschluss machen sollen – auch Lehrer im Kindergarten und auf der
Primarstufe. Noch mehr Theorie also. Bisher reichte ein kürzeres Bachelorstudium.
Studenten
im Schulzimmer
Für PH-Studentin
Kohler ist dies der falsche Weg. «Das widerspricht dem praktischen
Lehrerberuf.» Sie steht mit ihrer Haltung nicht alleine da. Der Schweizer
Lehrerverband (LCH), einer der wichtigsten Bildungsverbunde des Landes, pocht
ebenfalls auf mehr Praxisbezug. «Wir brauchen eine berufsbegleitende Masterausbildung»,
sagt LCH-Präsident Beat Zemp. «Ideal wäre ein Master, der ein 50-Prozent-Pensum
mit einer Klasse beinhaltet.» Die Unterrichtslektionen und Module, die heute
währen d der Ausbildung absolviert werden, würden nicht ausreichen. «Das Studium
allein macht noch keine gute Lehrperson, die ersten Jahre im Klassenzimmer sind
ebenso wichtig», sagt Zemp. Learning by doing
oder in diesem Fall: learning by teaching.
Die
geplante Reform fällt in einen heiklen Zeitraum. Den Schulen steht eine
Trendwende bevor, die besonders Lehrer treffen wird. Erstmal s steigen die
Schülerzahlen wieder. I n den kommenden Jahren werden neue Höchstwerte erreicht.
Der Bund prognostiziert bis 2025 landesweit eine Zunahme von 13 Prozent, in
einigen Kantonen wie Basel-Stadt, Zürich oder Thurgau gar plus 20 Prozent.
Alleine auf der Primarstufe werden e s künftig 87000 Kinder mehr sein als
heute. Hauptgrund ist die demografische Entwicklung.
Seit
Jahren warnen Schulen, Lehrer und Erziehungsdirektoren vor einem Lehrermangel.
Zwar interessiere n sich heute wieder viele Junge und Quereinsteiger für den
Beruf, allerdings haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Lehrer das
Pensionsalter erreicht. Schulleiter suchen in fast allen Stufen Nachfolger.
Umso wichtiger sei es jetzt, den Lehrer - beruf attraktiv zu gestalten, sind
sich Bildungsforscher einig.
Jeder
Fünfte hört auf
Gegen
den drohenden Lehrermange l könnte ein stärkerer Praxisbezug helfen, denn ein
solcher würde eine s der grössten Probleme der Junglehrer lösen: den
Praxisschock. Laut Bildungsbericht 2014 waren knapp 20 Prozent der Absolventen
fünf Jahre nach Abschluss der Ausbildung nicht mehr als Lehrer tätig. Von einem
Tag auf den anderen stehen sie in der Verantwortung. Sie sind überfordert,
brennen schnell aus. Zermürbt von teils schwierigen Schülern und sich
beschwerenden Eltern.
«Viele
junge Lehrpersonen haben schlaflose Nächte vor den ersten Elterngesprächen»,
sagt Zemp. Darum plädiert er dafür, Erfahrungen und Probleme während der
Berufseinführung im begleiteten Masterstudium aufzuarbeiten. Dabei geht es um
mehr als Mathematik, Naturwissenschaften und Deutsch. Lehrer müssen herausfinden,
wie sie eine Klassendynamik lenken, wie sie mit anderen Kulturen umgehen oder
wie sie am besten au f Mobbing reagieren. In den Klassenzimmern und Pausenhöfen
gibt es oft keine politische Korrektheit. Nicht umsonst lautet eine
Lebensweisheit: Kinder können grausam sein.
Doch
selbst ein Master mit sehr viel Praxisbezug ist kein Allheilmittel. Die
Ausbildung würde deutlich länge r dauern. Viereinhalb bis fünf Jahr e statt der
bisherigen drei. Nationalrat Matthias Aebischer (SP/BE), der selber mehrere
Jahre als Primarlehrer gearbeitet hat, glaubt, dass der Beruf dadurch weniger
attraktiv für Studenten wird. «Die fünf Jahre zum Master werden viele
Interessierte abschrecken.» Zwar sei eine gute Ausbildung gerade im Umgang mit
kleinen Kindern wichtig, doch mit weiteren Vorlesungen sei es nicht getan. «Was
nützt eine Masterarbeit im Klassenzimmer? Lehrer sind keine Wissenschaftler»,
sagt er. Die Praxis sei entscheidend.
In
einigen Kantonen hat sich bereits Widerstand formiert. So hat der Aargauer
Regierungsrat verkündet, den Master für Lehrpersonen i m Kindergarten
«dezidiert» abzulehnen und auf kantonaler sowie nationale r Ebene zu bekämpfen.
Der
Lehrerverband stellt sich trotz der Bedenken hinter die geplante
Masterausbildung. «Der Abschluss würde das Ansehen des Berufs erhöhen», sagt
LCH-Präsident Zemp. Lange galt der Unterricht im Kindergarten oder in der
Primarschule als weniger anspruchsvoll. Besonders Eltern, die selbst einen Masterabschluss
haben, wollen sich manchmal nichts sagen lassen. «Mit einer Masterausbildung
begegnen sich beide auf Augenhöhe», so Zemp. Und: Eine längere Ausbildung würde
einen höheren Lohn ermöglichen und damit den Beruf attraktiver machen. Das
Thema ist nicht neu. Fast jährlich fordert der Lehrerverband deutlich mehr
Gehalt (siehe Artikel rechts oben). Ein Master ist dabei ein gutes Argument.
Neues
Konzept Ende Jahr
Das
vollständige Strategiepapier der PH-Rektoren zur neuen Ausbildung wird
voraussichtlich Ende Jahr vorgestellt. Bis dahin hüllen sich die Rektoren in
Schweigen. Weitere Anfragen zum Thema blocken sie ab. Aktiver ist der
Lehrerverband: «Nu n geht es darum, den Master mit Praxiserfahrung zu
kombinieren», sagt Zemp. Damit der Lehrerberuf nicht nur im Hörsaal, sondern
auch im Klassenzimmer gelernt wird . Learning by teaching.
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