19. Juli 2017

Google drängt ins Klassenzimmer

Vor wenigen Monaten kündigte die Howard University in Washington an, einen Campus am Google-Hauptquartier in Mountain View zu eröffnen, wo Computerwissenschaftler drei Monate studieren können. Während ihres Forschungsaufenthalts, einer Art Sommeruniversität, werden die Gasthörer der traditionell afroamerikanischen Hochschule von Google-Tutoren angeleitet und können Schnupperkurse in den Fachabteilungen besuchen.
Google drängt ins Klassenzimmer, Basler Zeitung, 11.7. von Adrian Lobe


Dass grosse Konzerne an Universitäten herantreten und Stiftungsprofessuren finanzieren, um Nachwuchswissenschaftler zu rekrutieren und von gemeinsamen Forschungsergebnissen zu profitieren, ist ein in der Wissenschaft immer häufiger anzutreffendes Phänomen. Dass jedoch Universitäten selbst an Konzerne herantreten, kommt eher selten vor. Google will die Kooperation als Zeichen der Diversität verstanden wissen, um vor allem afroamerikanische Wissenschaftler zu rekrutieren, die in Programmierberufen traditionell unterrepräsentiert sind.

Talente vom Fliessband
Googles Vizepräsidentin Bonita Stewart, selbst Afroamerikanerin und Absolventin der Howard University, schrieb in einem Blog-Eintrag: «Als ich bei Google vor einem Jahrzehnt anfing, gab es fast keine Diskussion über Vielfalt in der Tech-Branche.» Das solle sich nun ändern. Die Partnerschaft ist freilich nicht nur ein Mittel, Googles Image als pluralistisches Unternehmen in der Öffentlichkeit aufzupolieren – der Konzern rekrutiert sein Personal auf der ganzen Welt und erhält pro Jahr zwei Millionen Bewerbungen –, sondern auch Wissenschaft und Praxis stärker zu verzahnen. Dass Google seine Standorte «Campus» nennt und wie Bildungslandschaften gestaltet, zeugt auch vom Anspruch lebenslangen Lernens.

Google und die Mutterfirma Alphabet sind nah an der Wissenschaft. Der mit 600 Milliarden Dollar wertvollste Konzern der Welt entstand aus der Universität heraus: Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin schrieben ihr bahnbrechendes Paper «The Anatomy of a Large-Scale Hypertextual Web Search Engine» (1998), das die Grundlagen der Suchmaschine legte, als Mitglieder der computerwissenschaftlichen Fakultät der Stanford University. Die mit einem Jahresetat von knapp sechs Milliarden Dollar ausgestattete Universität produziert Talente wie am Fliessband. Zu den Alumni gehören Tech-Grössen wie der ehemalige Microsoft-CEO Steve Ballmer, Ex-Yahoo-Chefin Marissa Mayer sowie der Paypal-Gründer Peter Thiel.

Schüler-Laptops durchforstet
Google ist nicht allein auf dem Markt. Im Kampf um die klügsten Köpfe ist ein erbitterter Wettstreit entbrannt. Tech-Konzerne überbieten sich mit Einstiegsgehältern, um die besten Talente an den Universitäten abzuwerben. Laut einer Gehaltsumfrage der Purdue University laufen Google-Praktikanten mit 6000 Dollar im Monat nach Hause, hinzu kommen nochmals 3000 Dollar für die Unterkunft. Kein schlechter Verdienst für einen Studenten.

Doch Google geht das Head-Hunting an den Vorhöfen seiner Programmierschmieden nicht weit genug: Der Internetkonzern drängt auch in die Schulen. Die New York Times schrieb in einem lesenswerten Artikel, wie der Tech-Gigant den öffentlichen Bildungssektor mit Billig-Laptops und kostenlosen Apps transformiert. An der Grundschule Newton Bateman in Chicago etwa lernen die Schüler, mit Google Docs Aufsätze zu schreiben und sie in der Cloud zu teilen. Auf der App Google Classroom vermerkt der Lehrer Abgabetermine und Klassenarbeiten.

Mittlerweile nutzen über 30 Millionen Kinder, mehr als die Hälfte der US-Primar- und Sekundarschüler, Google-Education-Apps. Das Laptop Chromebook, das Google für 30 Dollar an Schulen verkauft, ist zum neuen Arbeitsheft geworden. Damit erreicht Google, dass Nutzer von Kindesbeinen mit seinen Produkten und Diensten vertraut sind.
Doch nicht jeder ist von den digitalen Lernhelfern begeistert. Elternverbände befürchten, Google könnte die Daten ihrer Sprösslinge abgreifen und detaillierte Profile anlegen. Eine Sorge, die nicht ganz unbegründet ist – das Unternehmen weist diese Befürchtung jedoch zurück, wie SRF berichtete.

Wie die Datenschutzorganisation Eletronic Frontier Foundation (EFF) im Rahmen ihrer Kampagne «Spying on Students» herausfand, war bei den Schulrechnern in den Standardeinstellungen die Sync-Funktion aktiviert. Damit kann Google jeden Suchbegriff, jede aufgerufene Seite und Passwörter nachverfolgen und auf seinen Servern speichern. Aus Diensten wie Hangouts, Drive, Docs, Sheets und Slides leitet Google detaillierte Verhaltensprofile ab.

Die EFF-Datenschützer erhoben Beschwerde bei der US-Handelskommission FTC. «Entgegen öffentlicher Bekundungen durchforstet Google die Browser-Historie und andere Informationen von Schülern und nutzt diese für Unternehmenszwecke», kritisierte EFF-Anwalt Nate Cardozo. «Minderjährige sollten nicht getrackt oder als Versuchskaninchen missbraucht werden.» Diesen Satz würde wohl jeder unterschreiben. Doch Google ist nicht gemeinwohl-, sondern profitorientiert. Und das unterscheidet den Konzern von einer Universität, die dem Humboldtschen Bildungsideal verpflichtet ist.


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